Sergio Musmeci: Die Form als Unbekannte |
L. Ingold 2016 - 2021 |
Ponte sul Basento, Potenza, 1967-1975 (Foto: Lukas Ingold)
Das Werk des italienischen Ingenieurs Sergio Musmeci (1926-1981) umfasst ein bemerkenswertes Spektrum an Entwürfen für Strukturen. Die meisten dieser Tragwerke wurden in Stahlbeton konzipiert, was vor allem auf die spezifischen Gegebenheiten in Italien während der Nachkriegszeit zurückzuführen ist. Musmecis vielfältiges Oeuvre verkörpert in aussergewöhnlicher Weise die Vorstellung eines gegenseitigen Bedingens von architektonischen und strukturellen Überlegungen. Daher gründeten seine Explorationen auf der Idee, dass die Form einer Struktur direkt mit der Konfiguration des Kräftegleichgewichts zusammenhängt. Ein solcher Entwurfsansatz erforderte die Entwicklung unterschiedlicher ausgefeilter Methoden, bei denen mathematische, physische und computergestützte Modellierungs-verfahren zum Einsatz kamen. Die Ursprünge der Leitgedanken, die diesen Entwurfskonzepten und -methoden zugrunde liegen, sind jedoch vor allem ausserhalb der Architektur und des Bauingenieurwesens zu suchen, denn Musmecis Kreativität wurde von einer ausgeprägten Neugierde angetrieben, sich Wissen aus verschiedenen wissenschaftlichen, technologischen und kulturellen Feldern anzueignen. Die Forschung konzentriert sich auf Musmecis grundlegende Annahme, dass im Rahmen des Entwurfsprozesses eines Tragwerks nicht die inneren Beanspruchungen, sondern die Form als die Unbekannte betrachtet werden sollte, und analysiert, wie dieses Prinzip seine Entwurfstätigkeit prägte. Die systematische Untersuchung zeichnet die mass-geblichen Entwicklungen seiner Entwurfskonzepte nach, gewährt vertiefte Einblicke in die verschiedenen methodischen Ansätze und gibt Aufschluss über die ursprünglichen Quellen der einzelnen Leitgedanken. Die Untersuchung zeigt ebenfalls, dass Musmecis Herangehensweise auf einer starken Verschränkung von Entwurfspraxis und Forschungs-tätigkeit sowie einem stetigen Oszillieren zwischen theoretischen und empirischen Ansätzen beruhte. Generell ermöglicht Musmecis Werk die Auseinandersetzung mit zentralen Fragen zur Methodik des Tragwerksentwurfs und stellt eine wichtige Referenz für das Bauen mit begrenzten Materialressourcen dar. Darüber hinaus stehen die Entwicklungen, die mit seinem Werdegang verbunden sind, exemplarisch für die bedeutenden Veränderungen, die sich im Laufe der Nachkriegszeit in der Architektur und im Bauingenieurwesen in Italien ereigneten.
last modified 23.12.2022